Qualitative Studie
Wir freuen uns über einen Beitrag zur qualitativen Forschung von Sarah Salin in Form ihrer Masterarbeit „Anwendung der Ego-State-Therapie in der psychotherapeutischen Praxis“ an der FU Berlin:
Ziel des qualitativen Forschungsprojekts war es, zu untersuchen, auf welche Weise Psychotherapeuten*innen die EST-Methode in ihren Arbeitsalltag in ihrer psychotherapeutischen Praxis integrieren. Dabei interessierten mich beispielsweise folgende Fragen: Von welchen erfolgreichen oder problematischen Fallbeispielen können mir meine Interviewpartner berichten? Wie reagieren die Patienten nach Einschätzung der Therapeuten und Therapeutinnen auf die Methode? Welchen Stellenwert haben hypnotherapeutische Techniken? Bezüglich dieser und weiterer Fragen meiner Forschungsaufgabe konnte ich durch die Auswertung der sechs geführten Interviews einige interessante Aspekte herausarbeiten, die an dieser Stelle zusammengefasst dargestellt sind:
Unterstützung im Praxisalltag
Alle fünf Therapeutinnen zeigen sich in den Interviews als überzeugte EST-Anwenderinnen und berichten überwiegend von guten Erfahrungen mit der Methode in einem breiten Anwendungsfeld. Die befragten Personen sagen, sie fühlten sich sehr wohl dabei, wenn sie EST anwenden, es erleichtere ihre Arbeit. Die Patienten zeigen sich nach Aussagen der Therapeutinnen bei den Prozessen häufig aktiv, interessiert und stark emotional involviert. Es lässt sich festhalten, dass EST für alle fünf befragten Frauen und auch für Kai Fritzsche ein wichtiges Instrument im Arbeitsalltag darstellt. Die Therapeutinnen integrieren auf individuelle und kreative Weise EST in ihre Arbeitsprozesse, wobei das Konzept in der praktischen Anwendung nicht immer klar von anderen Methoden abgegrenztzu sein scheint. Die Interviews zeigen, dass EST die Möglichkeit bietet, viele verschiedene, kreative, beispielsweise kunsttherapeutische Techniken in den Therapieprozess mit einzubinden und einige der Befragten äußerten sich sehr positiv über die Unterstützung durch solche kreativen Elemente.
Individueller Gebrauch hypnotherapeutischer Techniken
Hypnotherapeutische Techniken scheinen von manchen Therapeutinnen sehr stark und von anderen weniger stark bei der Anwendung von EST genutzt zu werden. Dies hat vermutlich mit der persönlichen Affinität bezüglich der Techniken zu tun. Dieser Themenbereich kann in meiner Arbeit allerdings nur angerissen werden und bietet sicherlich einen lohnenswerten Ansatz für eine tiefer gehende Forschungsarbeit.
Persönlicher Therapiestil
Die individuellen Integrationsprozesse der Therapeutinnen von der EST-Methode in ihre Praxen unterliegen der Beeinflussung von jeweils eigener Persönlichkeit und beruflicher Vorerfahrung in den Bereichen Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Hypnotherapie oder anderen Therapieformen.
Unterschiedliche Aussagen von VT- und TP-Therapeutinnen
Bereits zuvor absolvierte Ausbildungen, insbesondere bei den vier befragten VT-Therapeutinnen, erscheinen zudem hilfreich dafür zu sein, EST zu lernen und anzuwenden. Die Ergebnisse der Befragungen betrachtend, lässt sich sagen, dass in einigen Punkten die vier Verhaltenstherapeutinnen ähnliche Aussagen machen, von denen sich die eine befragte Tiefenpsychologin in ihren Äußerungen absetzt - beispielsweise bei der Frage danach, wie herausfordernd sich das Kombinieren verschiedener therapeutischer Methoden für die Frauen gestaltet. Die VT-lerinnen äußern sich diesbezüglich merklich unbeschwerter, was auch nicht weiter verwundert, da die VT von ihren Grundzügen in der Anwendung eher aus verschiedenen, kombinierbaren Techniken besteht und psychodynamische Schulen sich teilweise streng gegen Eklektizismus stellen.
Schwierigkeiten bei der Anwendung
Der Umgang mit der hohen Emotionalität, die in der EST verstärkt auftreten kann, scheint sich für die Therapeutinnen zeitweise als herausfordernd darzustellen. Sie berichten auch von manchen anderen Schwierigkeiten, die sie in der Praxis erleben. Beispielsweise gestaltet es sich nicht bei allen Patient*innen einfach, einen Zugang zur Methode zu finden. Die Sprachwahl der Therapeutinnen scheint dabei bedeutsam zu sein. Einige der Frauen sprechen davon, dass sie sich am inneren Erleben und der Sprache der Patienten orientieren, damit der Zugang gelingt. In den meisten Fällen scheint es für die Therapeutinnen eher unproblematisch zu sein, EST-Theorie und Interventionen zu vermitteln - manche Patienten und Patientinnen lehnen das EST-Konzept aber auch gänzlich ab. Es fiel bei den Interviews zudem der Aspekt auf, dass es in der Therapie häufig herausfordernd sein kann, wenn die Patienten in Kontakt mit ihren eigenen Anteilen kommen, die sie an sich selbst ablehnen. Hierin scheint jedoch auch eine große Chance für therapeutische Erfolge zu liegen.
Veränderte therapeutische Haltung
Die Befragten sprachen davon, dass sich durch die Erlernung der EST auch ihre therapeutische Haltung verändert habe. Zentrale Aspekte scheinen dabei zu sein, den Patienten wie Verbündeten auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen gegenüber eine eher begleitende als führende Haltung einzunehmen.
Bedarf an weiteren Studien
Schon andere Forscher und Forscherinnen kamen in den vergangenen Jahren zu dem Ergebnis, dass EST eine vielversprechende Methode zu sein scheint, bei der es Bedarf an weiteren Studien zu der Anwendung in verschiedenen Kontexten und bei verschiedenen Störungsbildern gibt. Dieser Meinung kann ich mich nach der Auswertung meiner Interviews anschließen. So finden sich beispielsweise Hinweise darauf, dass sich Stimmungen von EST-Patienten häufig im Verlauf der Therapieprozesse stabilisieren, sie sich selbst in ihrem alltäglichen Handeln besser steuern können und so auch stärker bewusste Handlungswahlmöglichkeiten haben. So ist es wünschenswert, dass die noch wenig erforschte EST-Methode in den nächsten Jahren mehr akademische Aufmerksamkeit erfährt. Wirksamkeitsuntersuchungen sind dringend anzuraten. Arbeiten, die qualitative und quantitative Forschung miteinander vereinen, wären begrüßenswert.
Ich möchte mich zum Abschluss noch ganz herzlich bei meinem Masterarbeitsbetreuern und meinen Interviewpartnerinnen bedanken.
Hier können Sie die komplette Masterarbeit herunterladen. (PDF 1.02 MB)